Die Eberswalder Künstlerin Ina Abuschenko-Matwejewa setzt sich in ihrer Schau „Giordano Bruno Zyklus“ mit den Gedankengängen des frühen Aufklärers auseinander
Das Schöne am Spiel mit den künstlerischen Anklängen und Verweisen ist, dass sie einen mühelos durch Raum und Zeit schicken können – wenn es gut läuft, sogar innerhalb ein und derselben Ausstellung. Aus der Frühen Neuzeit über das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart; von Italien im Zickzack über Polen und Frankreich bis in den Barnim. Wer die Schau „Giordano Bruno Zyklus“ in der Galerie „Fenster“ im Brandenburgischen Viertel von Eberswalde besucht, kann die Arbeiten von Ina Abuschenko-Matwejewa auf sich wirken und seinen Gedanken dabei freien Lauf lassen.
In einem der Plattenbauten, in einer hellgehaltenen Wohnung mit Rauhfasertapete, werden 22 Werke der Eberswalder Künstlerin aus knapp 25 Jahren gezeigt – gefördert durch die Stiftung Kunstfonds im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ sowie durch die Stadt Eberswalde. Der Kunsthistoriker Wolfgang Siano hat die Ausstellung kuratiert. Größtenteils sind Papierarbeiten zu sehen mit abstrakten Motiven, intensivfarbige Flächen und Formen auf weißem Untergrund. Arbeiten von großer Klarheit, die von einer Freude am Spiel mit Kontrasten und farblichen Bezügen zeugen.
Der titelgebende Giordano Bruno war ein italienischer Priester aus dem 16. Jahrhundert. Ein früher Aufklärer, Philosoph und Astronom, der die Unendlichkeit des Universums verkündete – und damit die Kirche gegen sich aufbrachte. Die Inquisition verbrannte ihn im Jahr 1600 auf dem Campo de‘ Fiori in Rom. Dass sich Ina Abuschenko-Matwejewa ausgerechnet diesen Denker zur erklärten Inspirationsquelle für ihre Arbeiten aussucht, ist kein Zufall.
Die seit 2008 in Eberswalde lebende Künstlerin hat in Berlin an der Humboldt-Universität und in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste studiert. Sie ist eine der Gründerinnen des Kollektivs Neuer Blumenplatz, das gerade zehnjähriges Bestehen gefeiert hat. Die Mitglieder verstehen die Gruppe als Ort der Vernetzung und des kreativen Schaffens. Gleichzeitig haben sie einen öffentlichen Garten angelegt, einen tatsächlichen Neuen Blumenplatz vor dem Humboldt-Gymnasium in Eberswalde, in dem sie pflanzen, jäten und den Austausch pflegen.
Die Verbindung des Gärtnerischen mit dem Künstlerischen ist auf vielerlei Art und Weise schlüssig. Das Wachsen und Gedeihen, die Zuwendung, der der Neue Blumenplatz bedarf – all das lässt sich auch über die Kunst sagen, die an diesem Ort ihren Ursprung und Nahrung findet. Ganz zu schweigen von der ästhetischen Kraft, die den Pflanzen selbst innewohnt.
Der Name des Kollektivs und ihrer städtischen Oase geht zurück auf das Gedicht „Neuer Blumenplatz“ von Czesław Miłosz. Darin zieht der Dichter eine Parallele von der Verbrennung Brunos auf dem Campo de‘ Fiori (auf Deutsch „Blumenplatz“) zum jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Das Gedicht schließt mit dem hoffnungsvollen Verweis auf eine Zeit, in der „auf dem neuen Campo de‘ Fiori ein Wort des Dichters Protest entfacht“ – auf einem Neuen Blumenplatz also. Dieses Insistieren auf die Wirkmacht der Kunst in das „wahre Leben“ hinein hat den Anstoß für die Gründung der Gruppe gegeben.
Ein italienischer Aufklärer, ein polnischer Dichter, ein Eberswalder Kunst-und-Garten-Kollektiv und nun die Ausstellung von Ina Abuschenko-Matwejewa – ein ziemlich weiter Zirkelschluss. Dennoch lohnt es sich, die Arbeiten vor dem Hintergrund dieser Inspirationskette zu betrachten. Der „Giordano Bruno Zyklus“ nimmt auch genau dies wiederholt auf: die Kreisbewegung.
Gleich eingangs der Ausstellung hängt die Arbeit „Dem Campo de‘ Fiori in Rom und dem Neuen Blumenplatz in Eberswalde, Nr. 4“. Sie versammelt vier fragmentierte Kreise: Gouache aufgebracht auf Zeichenkarton. Die einzelnen Lamellen scheinen zunächst einfarbig. Schwarz, violett, beige. Doch da ist dieser Schimmer, der sie auf dem weißen Untergrund umgibt. Bei näherem Betrachten fällt auf, dass sich die Lamellen nach oben biegen und den Blick freigeben auf die leuchtenden Farben auf ihrer Unterseite: Gelb, Orange, Pink, Cyan, ein beinahe hippieskes Spektrum, das sich offenbart, wenn man sich um die Arbeit herumbewegt.
Wie viel von Brunos Postulat der Unendlichkeit des Alls in diesen Kreisen steckt? Wie viel von seinem Denken über die damals anerkannten Schranken des Geistes hinaus verborgen liegt in der lauernden Mehrfarbigkeit des Werkes? Ina Abuschenko-Matwejewa gibt Hinweise darauf, welche Wege ihre Gedanken eingeschlagen haben, um bei diesen Arbeiten anzukommen: Ein Porträt Brunos und eine Kurzbiografie hängen im selben Raum, auch sein philosophisches Hauptwerk liegt aus, „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“.
Die Arbeiten von Ina Abuschenko-Matwejewa verleiten dazu, sich vor ihnen durch den Ausstellungsort zu bewegen. Ein schönes Bild, wie die Besucher:innen mit der Kunst interagieren. Mit dem vierteiligen Werk „clouds I-IV“ zum Beispiel, ebenfalls Gouache auf Zeichenkarton, das den Reigen der wechselnden Farbigkeit fortführt. Diesmal wirken die aufgebogenen Kartonstreifen wie hingehaucht auf den weißen Untergrund, durch den Lichteinfall erst nehmen sie Pastelltöne an. Fast scheint es, als würde das zarte Blau eines Himmels hindurchschimmern und das Nebeneinander der Streifen zur Illusion einer plastischen Wolke aus Papier, Licht und Schatten werden.
Einen Spannungsraum erzeugt auch das Werk „complicatio Nr. 7“. Auf einer ein mal ein Meter großen Fläche verteilt die Künstlerin scheinbar willkürlich Hunderte von Kügelchen, allesamt auf jeweils andere Weise gefaltet. Sie bestehen aus Karton, auf der einen Seite mit Gouache blau eingefärbt, auf der anderen weiß gehalten. So verschwimmt das Weiß des Untergrunds mit dem der Kügelchen. Alles hängt mit allem zusammen, das suggeriert auch der Titel der Arbeit. Er vereint den Begriff „Plica“, der in der Anatomie „Falte“ bedeutet, mit der lateinischen Vorsilbe „com-“, die für „zusammen“ steht. Bedeutung, Deutung und intuitive Wirkung verknäulen sich wie die Kügelchen, die über der Fläche des Quadrats zu schweben scheinen. Fast wie blau durchsetzte Himmelskörper über einem gleißend weißen Himmel.
Der Topos des Himmels ist auch zentraler Bestandteil eines Gedichtes von Yves Klein (1928-1962), das Ina Abuschenko-Matwejewa der Schau zur Seite stellt – als weiteren Schlüssel zu ihrer Interpretation. Auf eine Glasscheibe hat sie mit Aquacryl geschrieben: „Eines Tages fiel der blaue Himmel auf die Erde/ und aus seiner Wunde strömte Blut/ es war ein leuchtendes, funkelndes Rot/ es war auch Schwarz, dort, wo es geronnen war/ ein Meer von Blut (…)/ und in dem Frieden des Blau herrschte der Zorn des Rot.“ So weit das Raster der Verweise im „Giordano Bruno Zyklus“ bislang schon gesteckt war, verortet die Künstlerin nun noch einen weiteren Fixstern am Firmament seiner Ausdeutung. Ina Abuschenko-Matwejewa hängt Kleins Gedicht direkt neben das sechsteilige Werk „Freispruch“, auf dem die farblichen Verbindungen, die die Verse umspielen, bildnerische Gestalt annehmen.
Am Anfang der Reihe steht ein dunkelrotes Quadrat – Acryl auf Zeichenkarton, derart dick aufgetragen, dass die Farbschicht einen schmalen Schatten auf den weißen Untergrund wirft. Innerhalb dieses Rots sind nicht nur Anteile von Schwarz auszumachen, sondern auch Spuren eines Blaus, das auf den weiteren Teilen der Arbeit die Oberhand gewinnt. Erst als waagerechte Linien, die beim Betrachten vor dem Auge zu flimmern beginnen, dann als massives Quadrat, dem Gegenstück zum dunkelroten Viereck des ersten Bildes. Denn auch dort, im Himmelblau des abschließenden Quadrats, lassen sich bei genauem Hinsehen Sedimente eines Rots entdecken – der „Zorn des Rot“ aufgenommen und besänftigt in einem weiten „Frieden des Blau“.
Wie die Philosophen, Dichter und Künstler vor ihr umkreist auch Ina Abuschenko-Matwejewa in ihren Arbeiten die Grenzen der Wahrnehmung und des Denkens. So entführt ein Besuch der Ausstellung „Giordano Bruno Zyklus“ nicht nur kreuz und quer durch Europa und zurück bis fast ins Mittelalter, sondern auch hinaus ins All. Die Werke werden zu Fingerzeigen in die Unendlichkeit hinter der Sternenkuppel, die das mittelalterliche Denken gefangen hielt – und die durch die Postulate des Giordano Bruno für immer gesprengt wurde.
Simon Rayß